im Rückspiegel |
Zu viel Arbeit, Ärger, Enttäuschungen?
Zu wenig Zeit für Freuden und Freunde?
Wieder so viel falsch gemacht?
Demnächst ... morgen - nächsten Monat - im nächsten Jahr wird gewiß alles besser - fehler-loser - perfekter laufen - oder?
Der Schriftsteller Jorge Luis Borges - (1899 - 1986) hat am Ende seines Lebens Bilanz gezogen. Hinterlassen hat er uns ein flammendes Plädoyer: Gegen lebensfeindlichen Perfektionismus. Im nächsten Leben will er nur eins:
MEHR FEHLER MACHEN!
oder: Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte...
Im nächsten Leben ...
Würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen.
Ich würde nicht mehr so perfekt sein wollen,
ich würde mich mehr entspannen.
Ich wäre ein bisschen verrückter,
als ich es gewesen bin.
Ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.
Ich würde mehr riskieren, würde mehr reisen,
Sonnenuntergänge betrachten,
mehr bergsteigen, mehr in Flüssen schwimmen.
Ich war einer dieser klugen Menschen,
die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten;
freilich hatte ich auch Momente der Freude,
aber wenn ich noch einmal anfangen könnte,
würde ich versuchen,
nur mehr gute Augenblicke zu haben!
Falls Du es noch nicht weißt:
Aus diesen besteht nämlich das Leben;
Nur aus Augenblicken; vergiss nicht den jetzigen.
Wenn ich noch einmal leben könnte,
würde ich von Frühlingsbeginn
bis in den Spätherbst hinein barfuss gehen.
Und ich würde mehr mit Kindern spielen,
wenn ich das Leben vor mir hätte.
Und ich würde laut singen:
Ich will das der Mensch,
wenn er zur Welt kommt,
die nackten Blumen atmet, das reine Feuer,
nicht das was alle ausgeatmet haben,
lasst die da geboren werden in Ruh,
habt ihnen nicht alles vorgedacht,
lasst sie nicht alle das gleiche Buch lesen,
lasst sie ihr frührot selbst entdecken
und ihren Küssen eigene Namen geben.
Aber ... ich bin ein wenig älter und ich weiss,
das ich bald sterben werde."
Jorge Luis Borges hat dieses Gedicht
1984 geschrieben, zwei Jahre vor seinem Tod. Seine Erzählung "Die Bibliothek von Babel" inspirierte Umberto Eco im Roman "Der Name der Rose". Dort heißt
der blinde Bibliothekar mit seiner jede Lebensfreude vernichtenden großen Furcht vor dem Lachen - der Gegenspieler des aufgeklärten Menschenfreundes William von Baskervilles - keineswegs zufällig "Jorge von Burgos".
Lassen Sie uns Nuttlarerer gemeinsam etwas machen aus und in unserem dörflichen Miteinander!
Sicher auch Fehler! Betrachten wir die als das was sie sind. Als Impuls! Motivation für Verbesserungen
und neues Miteinander. Als das, was uns von der seelenlosen Perfektion einer Maschine unterscheidet.
Lachen wir gemeinsam darüber und genießen sie als Erinnerung daran, wie schön es ist, ein Mensch sein zu dürfen. Das nicht zu sein, wäre der falscheste Fehler!